Psychoanalyse von Rainer Maria Rilke
Von Frank Sacco
Vorwort Müller: Niemand ist sicher vor den Psychoanalysen des Frank Sacco, Doktor der Medizin. In den bisherigen Analysen klang Rilke schon an, „auch Rilke spricht vom Gift, vom giftigen Abendmahl“. Sacco bemüht ein Sonett zu dem Thema; und die Freundin Lou. Wer als nächstes drankommt? Wie wär’s mit Goethe, Shakespeare, Kant? Vielleicht auch Merkel, Obama, Putin? Um mit Sacco zu sprechen: Uff, ganz viel Arbeit. (Bild: Sacco).
Rainer Maria Rilke, geb. 1875
Rilkes Leben war ein Leben in seiner Zeit. Seine Mutter war noch konservativ fromm. Maria nannte sie ihren Sohn und hat ihn als Sohn vielleicht zunächst abgelehnt. Sie hatte sich eine Tochter gewünscht. Jedenfalls steckte sie ihn gleich in Mädchenkleider. Die Zeit brach aber gerade um und wurde in wenigen Jahren – im Gegensatz zu der unsrigen mittelalterlichen –fortschrittlich und aufgeklärt. Rilke und seine Zeit (Freud, Schopenhauer, Nietzsche) bekämpften mutig einen konventionellen Glauben, aufgezwungen von einer gewissenlosen Kirche. Einen Glauben, der nach dem Analytiker Tilmann Moser „millionenfach“ in ein Sacco – Syndrom mündet.
Zwangsläufig resultierten, indem diese kinderunfreundliche Religion oder deren „Gott“ niedergekämpft wurden, Schuldgefühle gröberer Art bei sensitiven Charakteren. Die Ausnahme in dieser Richtung stellte Schopenhauer dar. Analog den Sekten verstehen es die großen Religionen nämlich, innerseelisch Austritts- und Kritikverbote zu etablieren. Da ist man sehr geschickt. Im Jahr 2012 stellten die katholischen Bischöfe Folgendes klar: Wer Austritt und nicht mehr einzahlt, bekommt nicht mehr die Beichte abgenommen, die aber nach der Lehre notwendig ist, um nach gewissen „Sünden“ nicht in die Hölle zu kommen. Wem die Kirche nicht vergibt, dem vergibt auch Gott nicht, so das Dogma dieser Kirche, das sich auf die Bibeltextstelle Joh. 20.23 bezieht. Das ist ein Taschenspielertrick – aber ein sehr gut gemachter.
Nun aber zu Rilke – als wohl nicht zufälliger Übersetzer eines Sonettes von Louize Labé (von 1526-1566) : Aus den 24 Sonetten
Das Vierte
Seitdem der Gott zuerst das ungeheuer
glühende Gift in meine Brust mir sandte,
verging kein Tag, da ich nicht davon brannte
und dastand, innen voll von seinem Feuer.
Ob er mit Drohungen nach mir gehascht,
mir Mühsal auflud, mehr als nötig, oder
mir zeigte, wie es endet: Tod oder Moder,
mein Herz in Glut war niemals überrascht.
Je mehr der Gott uns zusetzt, desto mehr
sind unsre Kräfte unser. Wir verdingen
nach jedem Kampf uns besser als vorher.
Der uns und Götter übermag, ist denen
Geprüften nicht ganz schlecht: Er will sie zwingen,
sich an den Starken stärker aufzulehnen.
In diesem Sinn! Bei Rilke, der dieses Gedicht übersetzt hat, ergeben sich als Spuren dieses Kampfes gegen seine „Vergiftung“ durch die Religion, durch seinen „Gott“, erhebliche Stimmungsschwankungen. Dessen bewusst, mied er eine feste Beziehung. Eine Ehe in Monogamie hat er nie vollzogen. Außerordentlich wichtig bei diesem Kampf war ihm die enge Freundin Lou Andreas – Salome, geb. 1861. Sie war etwas älter als er und hatte Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte studiert und einen Heiratsantrag Nietzsches abgelehnt. Bei Freud studierte sie Psychoanalyse. Wie Freud und Nietzsche zur, ich sage einmal katholisch – jüdischen Religion standen, ist hinlänglich bekannt. Das größte Unglück für die Menschheit sei das Christentum, so Nietzsche. Genug Tote hat es produziert. Und es produziert weiter. Lou lieh bzw. übertrug Rilke Selbstbewusstsein. „Dein Wesen war so recht die Thür, durch die ich zuerst ins Freie kam“, schreibt er ihr. Sie wusste, entsprechend geschult, möglicherweise um die Folgen eines inneren Gottkampfes. Sie schreibt dem durch Kirche und Kaserne vergewaltigten Rilke im Jahr 1901:
„Das, was du und ich den „Andern“ in dir nannten, – diesen bald deprimierten, bald excitirten, einst Allzufurchtsamen, dann Allzuhingerissenen, – das war ein ihm ((dem befreundeten Psychiater Friederich Pineles)) wohlbekannter und unheimlicher Gesell, der das seelisch krankhafte fortführen kann …ins Geisteskranke.“ Unsere Lou sorgte dafür, dass Rilke ein Schicksal in ekklesiogener Geisteskrankheit, wie Hölderlin es in vier Jahrzehnten Schizophrenie durchleiden musste, erspart blieb.
Nicht nur von der Kirche kam wegen Rilkes neuer Definition eines Gottes, eines „lieben“ Gottes, der Blasphemievorwurf. Diesen haben Verwandte und Bekannte und Rilke sich natürlich auch selbst gemacht, anfänglich verdrängt in seinem Unter- und Vorbewussten.
Er lässt aber von seinem tapferen Kampf um Humanität im Glauben nicht ab. Er schreibt für Kinder und Erwachsene die „Geschichten vom lieben Gott“ und ist damit therapeutischer als unsere heutigen Psychiater, die das Thema Kirche oder „krank durch Kirche“ streng meiden und versuchen, gar auch mir eine derartige Vermeidung aufzuzwingen. Ein Psychiater verbot mir, mich mit Patienten über Religion und Kirche zu unterhalten. Man dürfe seine Arztposition nicht gegen die Kirche ausnutzen. Man darf es doch. Man darf sogar gegen das Rauchen sein und Patienten über die Folgeschäden aufklären! Die Themen Sünde, Gott und Hölle werden heute nicht mehr bei Psychotherapeuten thematisiert. Patienten mit Kirchenproblemen werden ins benachbarte Zimmer, in das des Anstaltsgeistlichen verweisen. Dieser macht den Schizophrenen dann deutlich, was Sünde ist und wo sie hinführt. Dort hängt ja so oft noch der angeblich von den Erkrankten „persönlich“ Gegeißelte. Die psychisch Kranken seien an der Kreuzigung „Mittäter“ und damit Täter, so die offizielle Lehrmeinung. Das so genannte Heilige Abendmahl greift Rilke an und lässt „seinen“ neuen Jesus sagen:
„Mein Blut fließt ewig aus den Nagelnarben
und alle glauben es: mein Blut sei Wein,
und trinken Gift und Glut in sich hinein.“
Die EKD-Verantwortlichen ließen in der jetzigen Postmoderne Vierjährigen im neu geschaffenen Evangelischen Kinderabendmahl das Abendmahl geben, so in einer Hamburger Kita Bisenort, und damit das Blut ihrer Schuld trinken. Sie trinken damit das „Gift“ einer in kirchlicher Suggestion (!) eingeredeten Schuld und erleiden die „Glut“ ihrer eventuell bevorstehenden Höllenqualen, falls ihnen der Pseudoerlöser Bibeljesus diese oder andere Schuld am Tage des Jüngsten Gerichtes aus irgendeinem Grund, z.B. eines Kirchenaustrittes, nicht erlässt. So ein denkbarer „Grund“, der vom Kranken meist verdrängt ist, liegt oft in der Jugend oder Kindheit. Rilke lässt den jungen Tragy im Überschwang sagen: „Über mir ist niemand, nicht mal Gott.“ Ein starker, aber gewagter Ausspruch. Ein sensibles Kind mag sich das übel nehmen. Ist Tragy etwa gar autobiografisch, ist Tragy Rilke?
Das evangelisch-lutherische Kind kann sich nicht einmal durch gute Taten oder Geldgeschenke an die Kirche von einer solchen Schuld freimachen, freikaufen. Dem hat Luther völlig an Aussagen der Bibel vorbei, einen Riegel vorgeschoben. Nach Luther kann allein eine eventuelle Gnade Gottes bzw. Jesu es noch vor deren Hölle retten. Und wie es dort zugeht, das sagt uns das Neue, unheilige Testament ja zur Genüge und eindrücklich. Auch unseren Kindern, die ja lesen können: Jesus wird dort foltern, „Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit“, nach Matthäus gar in einem „Feuerofen“. Oder wie man es den Paderborner Kindern zeigt: In einem Suppentopf. Oder, wie es Bischof Nikolaus Schneider formuliert, in einem ewigen Feuer.
Rilke ist mit einigem Glück noch an den härtesten Symptomen eines Sacco – Syndroms vorbeigekommen. Hart war es für ihn aber dennoch. Zeitweilig, möchte ich sagen. Aber so hat Rainer Maria Rilke, was ich ihm herzlich posthum gönne, statt in einem Turm am Neckar eingesperrt zu sein, doch noch in ganz vielen warmen Betten gelegen. Mit hübschen und klugen Frauen. Dem Umstand und ihnen, den Frauen, verdanken wir viele seiner Liebesgedichte. Das Leben kann halt auch bunt sein.