Michel Houellebecq, Bernard-Henri Lévi: Volksfeinde
Das Böse im Geschlecht der Menschen wird kaum auszurotten sein. Das menschliche Gehirn ist einfach zu groß. So kann es begreifen, was Folter ist. Es begreift, dass man die Schmerz- und Leidrezeptoren seines Unterbaus maximal und vor allem auf Dauer, ja angeblich auf Ewigkeit reizen kann.
Nirgendwo ist daher die unter die dünne Haut verdrängte Panik so groß wie beim Geschlecht der Menschen. Schon Kleinigkeiten lassen die dünne Haut platzen. Natürlich ist das echter Wahn, wenn wegen einer Kleinigkeit Morde begangen werden. Von einer „Meute“ spricht der Schriftsteller Bernard-Henry Lévy (1). Und meint „das Volk“. Eine Meute zerfleischt ihre Gegner. Es kann der Meute noch so gutgehen. Schon ein objektiv nur kleiner Verlust ruft Bösartiges hervor: Neid, Missgunst und Hass und letztlich die böse Tat, zerfleischende Kriege. Man kann Öl genug haben und führt doch Kriege darum.
Diese Dinge seien Zeichen der Schwäche, so Lévy. Das ist korrekt. Freiheit trete erst ein, wenn man frei sei von diesen Dingen. Die Meute fürchte das Leben, den Tod, ihre „Geister“ und die ewige Ruhe nach dem Tod. Ich will Lévy ergänzen: Über alles fürchtet sie das Jenseits. Sie fürchtet über alles ihren „Gott“. Die Religionen sind derzeit zurück.
Lieben kann das den Mitgliedern vorgesetzte Gottesbild niemand. Dieses „größte Gebot“ dieses Ungottes ist nur „pro forma“ zu bewerkstelligen. Der Klerus setzt auf die ausgesprochene „Dummheit der Meute“, von der Bernard-Henry Lévy spricht. Um diese Dummheit herzustellen, muss der Klerus die Ängste der im Volk potenzieren. Die Order von höchster Stelle: Damit ist in der Kita anzufangen. Hier erreicht und konvertiert man auch Kinder von Atheisten: von der Liebe hin zum Gedanken Hölle. Von „Ewigkeit zu Ewigkeit“ werde ein Jesus foltern, so der Vatikan im Heiligen Jahr 2000 (2). Dem schließt sich der evangelische Papst Bischof Nikolaus Schneider als Oberhaupt der EKD an: ewiges Jesu-Feuer (3). Religiöse Angst dieser Größenordnung radiert den Verstand und jede Kritik komplett aus. Es resultiert „Dummheit“.
Ausnahmen sind nach Lévy die Schriftsteller, soweit sie schon durch die „Dunkelkammer“ gegangen seien. Ich will ergänzen: Auch ehemals am Sacco-Syndrom Erkrankte haben die Dunkelheit hinter sich gelassen
Die „Meute“ psychotherapiert sich am Fernseher. Grausamkeiten, Katastrophen und Folterzustände gibt es dort im Minutentakt. So reduziert sich die Angst, die Panik. Dazu gibt es Wein und Gebäck. Diesen Mechanismus beschrieb schon Goethe. Auch die völlige Ergebenheit in die jeweiligen religiösen Weisungen reduziert religiöse Ängste: Mann wird Mönch, Frau wird Nonne. Auch der Wahn der Opfer, der Schizophrenen reduziert deren Gottängste.
Die bessere Therapie der größten Angst des Menschen: Kirchenaustritt. Jedes Beten sollte man einstellen. Da ist kein Gott, Gebete zu hören. Mit gefalteten Händen kann man nicht helfen. Besser als ein Gebet: eigenverantwortliche und vor allem tätige Nächstenliebe. Zur Not auch: „christliche“ Nächstenliebe. Für Ängstliche: Man verbleibt nach einem „Kirchenaustritt“ in der Kirche. Durch die Taufe ist der Täufling zum Priester geweiht. Lebenslang bis ins Grab.
(1) Michel Houellebecq und Bernard-Henri Lévi: Volksfeinde
(2) Otto Zischkin: Offenbarungen Jesu an Schwester Faustine. Deren Heiligsprechung durch Benedikt vom Inn (nach einem angeblichen Höllenbesuch der Faustine)
(3) Bischof N. Schneider: Von Erdenherzen und Himmelsschätzen