Hypnose und kirchlicher Gottesdienst
Man fragt sich, wie die Geistlichkeit es immer wieder versteht, Dinge in unserem kollektiven Unbewussten zu implantieren, denen unser Bewusstsein im Normalfall kritischen Widerstand leisten würde. Dieses Bewusstsein würde nur ironisch lächeln, wollte man ihm ohne juristische Grundlage die Schuld für eine vor 2000 Jahren begangene Kreuzigung in die Schuhe schieben, wollte man ihm einen Holocaust (die Sintflut) als ethische Glanztat verkaufen oder ihm gar beibringen, es gäbe ein gerechtes Jüngstes Gericht, bei dem für die Hälfte der Menschheit ewige Folterstrafe von einem an sich lieben, liebenden Menschen ausgesprochen würde: Von Jesus. Aber: Es funktioniert. Wie? in Gehirnwäsche. Wie funktioniert Gehirnwäsche? Die Antwort: Als Kombination von Hypnose und Angsterzeugung. In unseren psychiatrischen Kliniken sind oft keine Betten mehr frei. Bild: Sacco Akryl 2008.
Der Leser mag sich ein wissenschaftliches Buch über Hypnose besorgen. Sie ist ein uraltes Phänomen. Den Darwin-schen Gesetzen folgend hat es vielleicht einmal eine Mutation beim Menschen gegeben, die Hypnose möglich machte. Diese Menschen hatten eine bessere Überlebenschance. Sie konnten besser kämpfen und verfielen weniger in Depressionen. Bereits 4000 Jahre vor Christus wurde Hypnose von den Sumerern angewandt, bezeichnenderweise von Priesterärzten. Erste Anwendungen gab es im Christentum als Tempelschlaf, als Heilungen im Gebet.
Für die Hypnose ist ein ruhiger, verdunkelten Raum sinnvoll, ein sich wiederholender monotoner Reiz führt zu einer gewissen Schläfrigkeit. Vertrauen zum Hypnotiseur ist Voraussetzung. Das Bewusstsein konzentriert sich auf den Hypnotiseur. Der Blick soll am besten etwas schräg nach oben gewandt sein. Die Kritikfähigkeit während der Hypnose ist deutlich verringert und es können beliebige Sinnestäuschungen suggeriert werden. Eine Beeinflussung des Urteils und des Willens ist möglich. Die Hypnoseerscheinungen sind Folge einer Suggestion. Besonders suggestiv sind einfache bildhafte Vorstellungen. Beispiele.
Der Psychologe Fritz Lambert: „Alles, was uns seelisch beeinflusst, ist Suggestion, denn in dem Augenblick, in dem wir einer seelischen Beeinflussung unterliegen, wird ein entsprechender Glaube ausgelöst.“ Wiederholung steigert die Suggestion. Die innere Sicherheit wird gesteigert, Suggestion in einer Gruppe oder in einer Masse wirkt besonders stark. Fasten als Vorbereitung verstärkt Hypnose. Ein Schließen der Augen verstärkt Hypnose. Von einer Hypnose merkt man selbst kaum etwas, man sinkt nicht in Trance und wird nicht bewusstlos, man hört genau, was um einen herum vorgeht und kann sich nach Beendigung an alles erinnern. Die Fixierung der Augen auf einen Punkt löst Hypnose dann aus. Besonders wirksam ist manchmal die Hypnose direkt nach dem Einschlafen. Die Hypnose kann bis etwa zwei Jahre wirken. Dann erlöschen auch sog. posthypnotische Aufträge.
Die Hypnose ist, medizinisch angewandt, eine etwas in Vergessenheit geratene ärztliche Kunst, mit der man auch eine depressive Grundstimmung lösen kann und Angstsymptomatiken. Durch die Suggestion in der Hypnose wird nach der Hypnose ein angstfreierer Zustand erreicht.
Es fallen Parallelen zum kirchlichen Gottesdienst auf. Der Raum ist abgedunkelt, es herrscht phasenweise absolute Stille, der Gläubige kehrt in sich ein. Durch die Liturgie ist eine für jeden Gottesdienst gleich bleibende Monotonie vorhanden, der Blick des Gläubigen geht schräg nach oben auf die Kanzel, Gebete werden oft mit geschlossenen Augen durchgeführt, der Pastor besitzt Autorität und es besteht ein Zutrauen zum Pastoren. Fasten ist kirchliches Ritual. Der Blick des Gläubigen fokussiert sich phasenweise auf einen Punkt, zum Beispiel das Gesicht oder den weißen Kragen des Geistlichen. Die Kritikfähigkeit ist eingeschränkt und Widersprüche können parallel bestehen und akzeptiert werden. Der Nachbar ist manchmal beinahe eingeschlafen. Der Bibeltext vermittelt ganz einfache Bilder, so zum Beispiel das Bild des Apfelnehmens, der Sintflut, eines Kochtopfes, des Augeausreißens oder einer Kreuzigung.
Durch die Etikette in der Kirche ist eine Diskussion oder gar ein plötzlicher lauter Widerspruch eines Gläubigen nicht gestattet. Ein solcher Widerspruch würde sofort die kirchliche Hypnose unterbrechen. Man stelle sich vor, jemand würde bei einer Predigt über die Sintflut aufstehen und die Frage an die Gemeinde richten, ob sie sich wirklich vorstellen kann, dass Gott, der die Liebe ist, Kinder und Säuglinge und Haustiere etc. auf grausamste Weise ertränkt und so einen Holocaust inszeniert hat. Der „Friede“ in der Kirche – er wäre zumindest für diesen Sonntag weg. Einen Großteil unserer Vernunft und unserer Kritikfähigkeit geben wir an der Kirchentüre ab. Der Text eines Kirchenliedes zum Beispiel jenes:
Lobet den Herren, der alles so herrlich regieret,
der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet,
der dich erhält, wie es dir selber gefällt…
ist, wie wir alle wissen, irreal, ähnlich wie Bonhoefers bekannte Worte vor seinem Tod, dem Tod, der ihn vor einer langen rachsüchtigen Folter durch die Nazis gerettet hat, einer Folter, in der in der kein Gott geholfen hätte. Das Lied wirkt in der Posthypnose nach und auch die Realität einer Tagesschau mit ihren furchtbaren Bildern kann dann die Zufriedenheit mit dieser Welt nicht mehr so erschüttern. Im Grunde bin ich voller Mitleid mit der Art oder Gattung Mensch, die die Wahrheit der Welt eigentlich weiß und ich bin geneigt, der Hypnose kirchlicher Gottesdienste teilweise beizustimmen. Sie wirkt teilweise antidepressiv. Denken Sie an den Segen, der jeden Gottesdienst abschließt. Wie wohl ist einem danach.
Es gibt jedoch auch während dieser Hypnose – Gottesdienste einfache, bildhafte Suggestionen, die prädestinierte Menschen in ein Sacco – Syndrom treiben. Die ärztliche Hypnose ist mir darum sympathischer als die allsonntägliche. Ein Allgemeinarzt auf der Kanzel ist mir unter den heutigen Voraussetzungen sympathischer als ein Pastor dort oben.
Ist jedoch für die „gesunden“ Gläubigen ein Arzt auf der Kanzel nicht lediglich ein Abklatsch eines Pastoren, da der „gesunde“ Gläubige einen grausamsten Gott will oder braucht, da ihn nur ein grausamster Gott beschützen kann vor sehr grausamen Zeitgenossen? „Gesunde“ sehen nun einmal gerne auch das Wagenrennen in „Ben Hur“. Die Grausamkeit Gottes arbeitet für den „Gesunden“, gegen den Kranken.
Ein Patient mit einem Sacco – Syndrom ist in einer Kirche ein Problem, da die unbarmherzige Härte Gottes sich gegen ihn wendet. Er ist dort Opfer, nicht Nutznießer. Er gehört nicht in eine Kirche heutiger Art. Ein Teil der Analytiker war zuvor Pastor. Ein Kranker mit einem Sacco-Syndrom sollte nur nach genauen Überlegungen von Mitgliedern dieser Gruppe behandelt werden.
Ärzte, die einen Sacco – Kranken behandeln, sollten zwei Jahre lang nicht in eine Kirche gegangen sein, damit unkontrollierbare posthypnotische Beeinflussungen die Behandlung nicht (zer)stören. Das Gebet ist ein kleiner Gottesdienst und frischt hypnotische Kirchenwirkungen auf. Ein Arzt, der einen entsprechenden Kranken behandelt, sollte meines Erachtens auch nicht beten. Wer an Gott als die Liebe glaubt, muss es auch gar nicht. Er kann sich auf das Arbeiten konzentrieren. Gott benötigt keine Gebete. Zündet dem Heiligen keine Kerzen an. Was Gott möchte, wenn wir davon ausgehen, dass er die bedingungslose Liebe ist, ist uns allen deutlich. Das Wort Gottesdienst zur Bezeichnung dessen, was sonntags geschieht, ist ein überholter Begriff. Gott ist mehr in uns, als dass er als eine Person zu denken wäre, die mit einem Bart und irgendwie älter als wir auf oder über dieser Erde wandelt. Ein Dienst an Gott ist als ein Dienst am Menschen zu verstehen, als echte Arbeit also. Ein Dienst an einer Person Gott dient keinem, nicht einmal dem wirklichen Gott.
Konventionelles Gottvertrauen kann man durch intensive Gebete natürlich autosuggestiv erzeugen und ausbauen. Es bleibt aber eine Illusion. Die kann als Täuschung Enttäuschung erfahren, so das Beispiel Auschwitz. Vertrauen wir lieber dem in unseren Mitmenschen hoffentlich sehr oft internalisierten Gott.