Das Glaubensbekenntnis und Allmachtphantasie
Das „Glaubensbekenntnis“ geht von einem allmächtigen Gott aus. Allmacht bedeutet jedoch auch, Verantwortung zu tragen für übermenschliches Leid im KZ, am Kreuz und bei Krebsleiden. Anderenfalls liegt unterlassene Hilfeleistung vor. Kinder lernen Glauben im Lehren des Glaubensbekenntnisses. Das Engramm der Allmacht ist danach verfestigt. Enttäuscht nun „Gott“ den Gläubigen durch unterlassene Hilfeleistung in einem schweren Fall, so ergibt sich ein Konflikt, ein Hadern mit „Gott“. Verbitterung stellt sich ein. Das ist letztlich ein Kampf für die Gläubigen, der diese nicht selten in eine schwere Depression führt. In einem Kindergarten sagte man einem Kind, dessen Bruder bei einem Zugunglück ums Leben kam, Gott habe den Bruder geholt. Das Kind erschrak und wurde zum Bettnässer, zum Bettnässer aus Gottangst.
Einen Vorwurf an Gott, ein Zürnen mit ihm, toleriert der Gläubige oft nicht für sich selbst. Hier liegt eine Abart des Sacco -Syndroms vor. Es ist ein Kampf, der zunächst mit einem weit „stärkeren“ Gegner geführt wird, einem allerdings eingeredeten, nicht existenten Widersacher. Der wahre Gott ist ebenso stark und schwach wie die Liebe, also nicht allgewaltig.
Der Gedanke „allmächtiger Gott“ ist vordergründig Trost in hilfebedürftiger Not, stellt ihn aber gleichzeitig auf eine Stufe mit einem Diktator. Assoziationen Gott / Hitler haben eine jüngere Geschichte nach 1945, siehe hier auch Verena Lenzen: „Jüdisches Leben und Sterben im Namen Gottes“, Piper. Man beachte den Titel. Von jüdischer Seite gab es Vorstellungen, Hitler sei Erfüllungsgehilfe Gottes gewesen, der Holocaust gottgewolltes jüdisches Leid zum Zweck der Erlösung von Nichtjuden. Gott habe sein auserwähltes Volk wiederum leiden lassen zu höherem Zweck. So konnte und kann mit Krampf Gottes Allmacht in pathologischen, teilweise abstoßenden Vorstellungen aufrechterhalten werden. Für das christliche Gedankengut ist nach dem Studium des o.g. Buches die Assoziation Gott/Hitler verwirrender und problematischer als im konservativ- jüdischen.
Aber auch der katholische Dogmatiker Michael Schmauß hat noch in den 70er Jahren die Auffassung vertreten dürfen, im Holocaust sei Gott am Werk gewesen, um sein Volk zu Christus zu bekehren (s. Zeitung „DIE WELT“ vom 23.3.05). Für mich und Sie, lieber Leser, ist dies ein erschreckender Gedanke: Göttliche Bekehrung mittels KZ.
Bewusst stelle ich aus religionstherapeutischen Gründen Bibelgott ins allgemeine Wertesystem. Ich gebe mich nach 1945 nicht zufrieden mit den Wertevorstellungen unserer Kirche, Gott sei es allein durch sein Amt und durch die Tatsache, uns Menschen geschaffen zu haben, erlaubt, alles, aber auch alles mit ihnen anzustellen. Nie ist dies irgendjemandem erlaubt gewesen. Nie ist solches auch nur für irgendein Wesen ethisch vertretbar gewesen. Nie wäre es unserem Gott in den Sinn gekommen, sich so völlig unethisch und völlig unchristlich zu verhalten. Der wahre Gott hält sich an Kant und hielt sich immer an Kant. Schon vor Kant! Auch die Niedersächsische Ärztekammer gab mir im Jahr 2012 Recht: Ein Holocaust an Juden sei ethisch nicht vertretbar, so ein Jurist der Kammer. Glauben wir ihm doch einfach einmal.
Der Vergleich Bibelgott / Hitler kommt von jüdischer Seite. Und er kommt spontan von meinen Patienten und auch Geistlichen. Er ist legitim. Als einer Person, Mitte des 20. Jahrhunderts geboren, mit entsprechenden schulisch und einsichtig gewonnenen nachkriegs-deutschen Wertesystemen, darf ich den Vergleich nicht kritisieren. Er drängt sich Menschen regelrecht auf, wenn es eindeutig Juden sind, die Bibelgott in meiner Kinderbibel, der Großen Ravensburger Kinderbibel, mit Regenwasser zu Tode quält. Erschütternd ist geradezu die große Selbstverständlichkeit, mit der hier jemand, in diesem Falle Bibelgott, ungestraft, unwidersprochen und wie selbstverständlich Menschen, Juden wie Nichtjuden, aus fadenscheinigen „ethischen“ Gründen in Kinderbibeln zu Tode quälen darf. Es ist ungehörig von unseren Kirchen, Gott und Jesus, die beide die Liebe sind, als Hitleräquivalente abzubilden und darzustellen. Die Würde Gottes ist unantastbar. Das haben die beiden Großkirchen noch nicht begriffen.
Hat Hitler vom Bibelgott „gelernt“? Ich behaupte hier: Ja. Gelernt hat er, dass es einer Führerpersönlichkeit „erlaubt“ sein kann, jemanden oder auch ein ganzes Volk grausam zu töten. Gelernt hat er hier, wie wenig ein Menschenleben wert ist, wie schnell ein Menschenleben als so unwert gilt, dass man es durch Folter „ausmerzen“ darf. „Ausmerzen“ ist eine Bibelgottvokabel aus dem Alten Testament und von Hitler vielmals nachgesprochen im Zusammenhang mit seiner Judenverfolgung. Vielleicht hat Hitler ja auch eine Kinderbibel gehabt, vielleicht sogar die Große Ravensburger, wo Juden und ihre Kinder unter völliger Billigung der Kirche in Folter „zu Recht“ zu Tode gebracht werden. Das „Die Juden“ der Nazis ist ebenso verkehrt wie das „Die Menschen“ Bibelgottes, impliziert es doch eine Sippenhaftung bzw. Sippenschuld, die immer Unrecht waren und sind. Hitlers Rachegefühle und seine Rachenahme sind ebenso ethisch indiskutabel wie die eines Bibelgottes.
Und man mache sich folgendes klar: Die Grausamkeit Bibelgottes ist billigste Kirchenreklame. Je grausamer ihn die Kirche hinstellt, umso mehr resultiert Kinderangst vor ihm, umso mehr fleißige Kirchgänger erhofft sie sich. Und sie bekam sie. Sie begreift aber nicht, dass ihr wegen ihrer kaum in Worte zu fassenden Brutalität in der Zeit nach Auschwitz die Gläubigen weglaufen, so das Beispiel der Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Frau Dr. Goesmann. Unser Pastor Christian Berndt hier am Ort sagt: „Die Hölle gibt es nicht.“ Er bekommt seine Kirche auch ohne Höllenangst voll. Meine Gruppe schlug ihn als Leiter der EKD vor, nachdem der Nachfolger der Bischöfin Dr. M. Käßmann, Präses Nikolaus Schneider, kommentarlos in seinem Buch schrieb, wer nicht Liebe gebe, der komme nach dem Richterspruch Jesu in sein ewiges Feuer. Ich habe Schneider wegen Kindesmisshandlung angezeigt. Regelmäßig ist Berndt im Radio zu hören. Wenige Pastoren haben den Mut zum Widerspruch der eigenen Kirche gegenüber.
Es geht also um Geld und um Macht – mit der bewussten Inkaufnahme der Nebenwirkung gravierender psychischer Erkrankungen bis hin zur grausamsten psychiatrischen Krankheit, die wir kennen, der Höllenangst bei Autisten. Sie geht einher mit der eingebildeten und sprachlosen Gewissheit dieser Kranken, in die Hölle zu kommen. Der Deutsche Ärztetag hat im Jahr 2009 mehr Sensibilität gefordert im ärztlichen Erkennen von seelischer Gewalt gegenüber Kindern. Das ist, was Kirchenschäden angelangt, weder von Psychiatern noch von den Ärztekammern bisher umgesetzt worden. Kirchenkritiker werden diskriminiert, Psychiatriekritiker mit Drogen von Psychiatern mundtot gemacht. Der Ärztetag missbilligt aber nachdrücklich jedes Projekt, das Kinder aus kommerziellen Gründen missbraucht. Die Kirchen scheint er nicht damit zu meinen – aber es betrifft gerade sie.
Eugen Drewermann zitiert in diesem Zusammenhang einen Studenten: „Die Kirche verkündet nicht Gott, sie hat sich einen Götzen zurechtgemacht, der ihr hilft, ihre Macht zu legitimieren. Vor allem will sie die Menschen immer noch mit absurden Schuldgefühlen vergiften, nur um sich selber als Vergebungsinstanz wichtig zu machen.“ Nun, die Kirche bewirkt derartige Vergiftungen immer wieder.
Krank machend ist auch die groteske Vorstellung, Gott sehe alles. Er sei sogar Teil unseres Großhirnes. Ein eingebauter Microchip sozusagen, der unsere Gedanken lesen könne und „sündige“ Gedanken auch posthum bestrafe. Da hat Bibeljesus Schuld: Mit seiner Bergpredigt. Allein schon der begehrliche Gedanke eine Dame verführen zu wollen, die einem anderen schon „gehört“, führt nach der Bibel zu einer grausamen Höllenstrafe, zu der im Vergleich das Abhacken eines Armes oder die Selbstausreißung eines Auges eine Kleinigkeit darstelle, so „Jesus“. Da geht es den Juden doch deutlich besser. Die dürfen einer Ehefrau, auch wenn sie nicht die ihre ist, schon mal hinterherpfeifen.
Und die Auferstehung? Wir sind heute meist Realisten. So erscheint die Auferstehung Jesu von den Toten ein zweifelhaftes Ereignis gewesen zu sein. Wenn ein Grab leer aufgefunden wird, so bedeutet das ja per se noch keine Auferstehung. Die Leiche mag auf demselben Weg wie sie ins Grab kam, bei Nacht wieder heraustransportiert worden sein. Auch Helmut Schmidt glaubt nicht an das leere Grab. Spätere Sichtungen der ehemaligen Leiche können Einbildungen gewesen sein oder schlichte politische Zweckhaftigkeit: Wunder waren immer gut für die Kirche. Heute sind sie ihr eher schädlich. Äußert man als Arzt derzeit, ein wirklich toter Patient sei von den Toten auferstanden, kommen gleich zwei Autos: ein blaues und ein rotes. Und die Fahrer streiten, in welches man dann einsteigen muss. Ich glaube sofort an Wunder, wenn ich eines sehe. Vorher nicht. Und ich glaube niemals einer Kirche. Und damit bin ich gut gefahren.