Die Borderline – Persönlichkeitsstörung BPS
von Frank Sacco, Internist
Das Syndrom erhielt den Namen „Borderline“, da die Erkrankung ein Grenzgebiet zwischen psychiatrisch halb verständlicher Neurose und halb unverständlicher Psychose sei. Heute weiß die Psychiatrie nicht einmal mehr, was eine Psychose ist. Eine „endogene“ Psychose (Beispiel Schizophrenie, Autismus) ist, und das wusste man bereits um das Jahr 1900, die schwere Form einer Neurose, also auch eine entwicklungsgeschichtlich entstandene, durch ein Trauma hervorgerufene Erkrankung. Die angeblich „nicht mehr verstehbaren“ Symptome erklären sich vielfach als Selbstheilungsversuche des Patienten, so der Wahn des Paranoiden und die Selbstverletzungstendenz (SVV) des Borderliners. Die genetische Ursache psychischer Erkrankungen wird von der heutigen Psychiatrie favorisiert, ohne dass man Beweise dafür hätte. Sich Gedanken über die kirchenbedingte Genese von Erkrankungen zu machen, gilt als verpönt.
Für mich steht ein frühkindlicher Vertrauensverlust in Beziehungen im Vordergrund der Genese des Syndroms. An sich wünscht sich der Erkrankte nichts sehnlicher als harmonische Verhältnisse z. B in einer Partnerschaft bzw. besonders in dieser. Die dabei aufkommenden Ängste sind zumeist autobiografisch begründet und führen zu den bekannten Symptomen in engen und speziell dauerhafteren sexuellen Beziehungen. Genauer, denn eine sexuelle Beziehung gibt es nicht, sollte man von zwischenmenschlichen Beziehungen sprechen, in denen auch Sexualität stattfindet. Wurde der frühkindliche Vertrauensverlust mit durch sexuellen Missbrauch hervorgerufen, erweist sich das Sexuelle in einer späteren Beziehung als besonders schwierig. Es können Symptome wie Angst, Ekel, Frigidität, Nymphomanie, Promiskuität, Prostitution oder Anorexie auftreten. In der Anorexie wird die pubertierende Jugendliche Schutz suchend wieder zum Kind, von dem ein „Funktionieren“ in Sachen Sex nicht verlangt wird. Die Menstruationen bleiben aus.
Das Thema Sexualität ist aus zwei Gründen besonders wichtig. Da ist einmal eine frühkindliche unangenehme sexuelle Erfahrung oder gar ein sexueller Missbrauch: Er schädigt die Psyche besonders des weiblichen Kindes. Das männliche Kind will Sexualität mit einer erwachsenen Frau als Verführer und als aktiver Part. Es fühlt sich daher weniger „beschmutzt“ als ein Mädchen. Möglicherweise tritt das Borderline-Syndrom daher bei Mädchen öfter auf (ca. 75 versus 25 %). Findet der Missbrauch vor dem 4. Lebensjahr statt, ist er als Trauma nicht erinnerbar – auch nicht in einer Psychoanalyse. Man kann dann nur indirekt (über Symptome) auf ihn schließen. Ein Pädosexueller beendet seine Taten oft bevor ein Kind Sprechen lernt oder sein autobiografisches Gedächtnis erlangt.
Zum anderen kann aber die Kirche über ihre bestehenden Dogmen Sexualität an sich und damit kindlich-sexuell sich betätigende Kinder „missbrauchen“. Das geschieht, indem sie heterosexuellen Sex außerhalb einer Ehe, z. B. im kindlichen Doktorspiel, zur Sünde erklärt, einer Sünde, die ohne Beichte in die ewige Hölle führt. In der Literatur des Betanien-Verlages (Partner Erzbistum Paderborn) ist heute festgelegt, wie es sich nicht nur Paderborner Kinder lt. Bibel in der ewigen Hölle vorzustellen haben: „Welche Gnade ist für Sünder jedes nicht brennende Körperteil!“ Mit einem Ausrufungszeichen. Hier versündigt sich, wenn man so will, der Katholizismus.
Ich traf bisher kaum einen Erwachsenen, der offiziell an die Hölle „geglaubt“ hätte. Wohl werden quälende Schuldgefühle angegeben, auch einmal Versündigungsideen von Psychiatern beschrieben. Wohl wird gebetet: „Gott, straf mich nicht. Sei mir gnädig.“ Das Kirchendogma Hölle ist aber so weit verdrängt, dass es geradezu lächerlich wirkt, darüber zu reden und zu schreiben. Die Psychiatrie diskriminiert mich als einen Arzt, der das Thema bzw. Trauma Hölle in das Zentrum der Genese psychischer Erkrankungen zu stellen wagt. Das Dogma Hölle ist das Gegenteil von lächerlich.
Der Einstein des Sex, Dr. Magnus Hirschfeld, beschreibt uns das Gefühl, das bei einem männlichen Gläubigen angesichts einer Vulva, dem Eingang also zur Vagina, aufkommen kann. Es sei der „Eingang zur Hölle“. Das macht in einer christlichen Gesellschaft jede Form von Sexualität, auch die in einer Ehe, problematisch. Sie ist irgendwo angst- und ekelbesetzt. Der später männliche „ekklesiogene“ Homosexuelle glaubt seiner Kirche das mit der Vulva und meidet u. U. eine heterosexuelle Beziehung folgerichtig zeitlebens. Erotisch lebt ein solcher Homosexueller oft hetero. Er ist heteroerotisch und sucht auch im Beruf intensiven Kontakt zu Frauen. Seine Feminisierung ist ein früh etabliertes Rollenspiel, um auf männliche Partner attraktiv zu wirken. Einer heterosexuellen Borderline-Patientin stand Homosexualität wohl nicht als Weg zur Verfügung. Vielleicht wurde sie in der Adoleszenz nie mit dieser Möglichkeit konfrontiert. Sie bleibt heterosexuell mit der in der Regel tief verdrängten seelischen Last der Versündigung während jeden sexuellen Kontaktes. Während die Häufigkeit des Borderline-Syndroms hier mit 1-2 % angegeben wird, liegt sie im noch einmal christlicheren Nordamerika bei ca. 6 %. Je größer der Glaube in einer Gesellschaft, je größer die Psychiatrischen Landeskrankenhäuser und der Betrieb in psychologischen Praxen. Die Wartezeit beträgt in Niedersachsen oft acht Monate. Oft ist man in dieser Zeit geheilt oder bereits, so ein Beispiel aus meiner Praxis, tot.
Sehr häufig werden von Erkrankten Eltern beschrieben, zu denen man kein Vertrauen entwickelt hat. Es kam zu Gefühlen der Vernachlässigung oder zu familiärer körperlicher und seelischer Gewalt. So entsteht Misstrauen als ein Grundgefühl, das alle späteren Beziehungen belasten muss. Dieser Eltern-Ich-Konflikt, der nicht immer eine wirkliche Schuld der (selbst oft erkrankten) Eltern beinhaltet, wird potenziert durch einen Gott-Kind-Konflikt. Bei näherem Hinschauen verhält sich der Christengott um ein Vielfaches sadistischer, als es Eltern je seien können. Dieser „Gott“ quält Sünder mit Erdenstrafen und in einer nach Vatikanaussage schon heute funktionierenden Feuerhölle, aus der es kein Entrinnen gibt. Er führte den ersten Holocaust an Juden durch, die Sintflut. Ausnahmslos und verbrecherisch verbrannte er alle Kinder in Sodom und Gomorrha. Als Allmächtiger, und das empfand ich als etwa 5-jähriges Kind in der Schule als unterlassene Hilfeleistung, half er seinem „Sohn“ Jesus nicht in der Angelegenheit des Kreuzestodes. Er ließ die Folter am Sohn geschehen. Jedes Kind dürfte so denken. Mein Vertrauensverlust war immens, fühlte ich mich ja auch von diesem Wesen in ungeheurem Maße abhängig. Gott sollte ja entscheiden, wo ich die Ewigkeit verbringen würde: Im Feuer – oder im Himmel. Wie man diesen unseren Gott lieben kann, ist ein Rätsel. Auch mögen Borderline-Eltern, was leider sehr effizient funktioniert, mit der Angst vor der Hölle erziehen: „Gott wird dich strafen“. Ein stabiles Selbstwertgefühl kann sich nicht entwickeln, wenn man nach Meinung der Über-Ich-Produzenten (Eltern/Lehrer/Gott) minderwertig, sündig und an allem schuld ist.
Das sog. Urvertrauen, diesen Wahn, benötigen wir als Säuglinge alle. Die Realität straft diesen Wahn Lügen, wie auch die Realität den Schutz durch einen außerpersonalen Gott Lügen straft. Menschen können hingegen Menschen schützen. Über das Vertrauen in Beziehungen: Das Zusammenspiel Eltern/Umwelt/Religion stellt bei der BPS ein Trauma dar. Vertraute man als Kind einem pädophilen Verwandten, einem Geistlichen, einem Elternteil oder seinem Gott, wurde man unendlich enttäuscht. So lernte man: „Vertrauen nie und niemandem.“ Mangelndes Vertrauen in die Umwelt führt zur quälender Vereinsamung. Drohende Vereinsamung macht das Scheitern von Borderline-Beziehungen so tragisch und schwer. Oft kommt es dabei zum Suizid. Das Borderline¬-Syndrom ist eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Betroffenen müssen über lange Zeit und mühsam lernen: Nicht jeder Mitmensch ist ein Sadist – und wirkliche Götter sind es nie. Wir alle sollten uns begnügen mit einem innerlichen, humanistischen Gottesbild.
Schuldgefühle stehen oft im Zentrum des Erlebens bei Borderlinern. Es sind in einer hochchristlichen Gesellschaft aber automatisch Sündengefühle. Die Sünde ist als klerikale Erfindung die Überhöhung auch jeder noch so kleinen Schuld ins transzendental Unermessliche. So klein die Sünde ist, siehe Evas Sündenfall, so groß ist ihre Bestrafung. Ein herzhafter Biss in einen Apfel löst einen Kindern unverständlichen Amoklauf des Apfelbesitzers aus. Auch diese Geschichte ist klerikal erfunden, um Kindern die absolute Kleinlichkeit ihres „persönlichen Gottes“ vor Augen zu führen. Man will als Kirche Angst erzeugen, Kinderangst. Es ist Kirchenpolitik, unseren Gott vor Kindern als brutaler zu beschreiben als Hitler es war. Ich halte es allerdings, wie auch Bischöfin Margot Käßmann, für Gotteslästerung, wenn man als Kirche Gewalt religiös dekliniert. Zum Glück ist diese Form der Gotteslästerung nach § 166 StBG in der BRD strafbar, da sie den öffentlichen Frieden unserer Gesellschaft ganz erheblich stört. Angst vor dem Jenseits sei ein „Geschäft“ der Kirchen. Das gibt nicht nur Bischof Nikolaus Schneider zu, der an anderer Stelle kindesmisshandelnd zu schreiben wagt, gewisse Sünder kämen in das ewige Feuer Jesu. Juristisch ist das nicht möglich, da juristisch Wunder nicht anerkannt werden dürfen, auch nicht das Wunder irgendeiner Auferstehung. Juristisch ist Jesus tot, und das für immer. Das bestätigt mir auch die Staatsanwaltschaft Freiburg. Dass es durch die klerikale Angstmacherei zu ekklesiogenen Krankheiten kommt, wissen die Amtskirchen über umfangreiche Literatur (z. B. C. G. Jung, Eugen Drewermann, Norbert Frenkle, Eugen Biser). Es ist ihnen aber einerlei. Ein Erkrankter wird in der Regel vehement jeden Glauben an die Hölle von sich weisen. Nicolas Gomez Davila dazu: „Wir glauben an all die vielen Dinge, an die wir nicht zu glauben glauben.“ Die Borderlinerin Morgentau in Grenzposten 25. „Ich wurde wütend auf Gott und wandte mich von ihm ab, fiel schließlich in meine erste Depression.“ Wegen ihres Abwendens und der daraus sich ergebenen Sündengefühle? Das wirkliche Atheistsein bekommt man nicht geschenkt. Viele müssen vor der Genesung in eine Hölle auf Erden. Das Titelbild der Betroffenen-Zeitung Grenzposten, Ausgabe 10, drückt etwas von dieser Feuerqual des Borderline-Patienten aus.
Psychiater sprechen mit Patienten nur ausnahmsweise und ungerne über Religion. Der Grund liegt in eigenen negativen Erfahrungen mit ihr (nach Lütz). Ich habe die Zusammenhänge im Buch „Die Neurose der Psychiatrie“ (unter www.frank-sacco.de) zusammengefasst. In Gesprächen über Religion müsste man als Psychiater Kirche und „Gott“ kritisieren und ihnen Schuld an Erkrankungen geben. Hier befürchtet man eine erneute eigene Versündigung und damit das Wiederaufleben quälender Angstgefühle. Das Dogma, gewisse psychische Erkrankungen würden vererbt, wurde zusammen mit der Überbewertung von Neuroleptika und Antidepressiva zu einer Art schützender Ersatzreligion der Psychiatrie. Eine ganz erstaunliche Entdeckung machte die Autorin L. I. Hofmann während ihrer Doktorarbeit an der Uni Oldenburg 2010: „Religiosität und Spiritualität in der psychologischen Praxis“, siehe Google. Die deutschen Psychiater und Psychologen, nach außen hin durchaus säkularisiert wirkend, erweisen sich in der Studie Hofmanns als vergleichbar stark gläubig wie ihre Kollegen im strenggläubigen Nordamerika. Der Anteil derer, die an keine Transzendenz glauben, liegt weit unter 10 %. Hofmann: „Anhand der soeben dargestellten Befunde wird deutlich, dass das Klischee des areligiösen, rein wissenschaftlich-säkular orientierten Psychotherapeuten, der den Themenbereichen Spiritualität und Religiosität prinzipiell wirklich kritisch bis wirklich ablehnend gegenüber steht, keine Bestätigung findet. Im Gegenteil, ein Großteil der befragten Psychotherapeuten zeigt eine transzendenzoffene Haltung und für viele scheinen Spiritualität bzw. Religiosität auch im persönlichen Leben eine bedeutsame Rolle zu spielen.“
Leider hat sich die heutige Deutsche Psychiatrie gegenüber ihrem größten Arbeitgeber noch nicht emanzipiert. Das sollte sie in einer Selbstkorrektur ändern. Die zurzeit propagierte Verhaltenstherapie bei Borderlinepatienten, die Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT), sollte mit einer ekklesio-adversativen Therapie, einer EAT kombiniert werden. Diese besteht in einer Aufklärung der Patienten über die prinzipielle Schädlichkeit von Religion. Alle Religionen sind menschlich gestaltete Systeme von Grausamkeiten.
Das nahezu regelhafte selbstverletzende Verhalten (SVV) ist bei der BPS oft ein ekklesiogener Masochismus, wie ich ihn auf meiner Homepage beschreibe (s.o.). Es bewirkt über einen Abbau von Ängsten und Schuldgefühlen eine sofortige Erleichterung. Der Ödipuskonflikt ist entgegen der Annahme Sigmund Freuds kein Vater-Sohn-, sondern ein Gott-Gläubiger-Konflikt. Der Borderliner Ödipus brannte sich masochistisch beide Augen aus – als ein Opfer an Zeus. Dieses Opfer sollte ihn vor der Hölle seines Gottes, dem Hades bewahren. Als Blinder fühlte Ödipus sich dann deutlich besser. Er hatte seine Sünde, die der griechische Götterhimmel in seinem Inzest mit seiner Mutter sah, hier auf Erden abgetragen. Heute wissen wir: Das Opfer war ebenso unnötig wie es das SVV bei Borderlinern heute ist. Zeus ist mitsamt seinem Götterhimmel eine ebensolche Erfindung wie der hitleroide Gott der Amtskirchen. Ein Gott, der die Liebe ist, wird niemals folternd strafend aktiv werden wollen. Dann würde er sich auf eine Stufe mit Hitler stellen. Dazu spürt unser Gott kein Verlangen. Die Folter haben Menschen erfunden. Und den folternden Gott dazu.
Das Nicht-Nein-Sagen-Können, diese Abgrenzung zu den Forderungen der Umwelt, die so empfundene mangelnde Identität und die Schwierigkeit, in Diskussionen eigene Meinungen vorzubringen, resultieren beim ekklesiogenen Borderline-Patienten aus der Forderung Jesu, eigene Wünsche hintanzustellen. Selig seien die Sanftmütigen und Demütigen. Die kommen nicht in die so angstbesetzte Hölle. Ein „Nein“ wird vom Patient als Verweigerung der Nächstenliebe und damit als Sünde im Sinn der Bergpredigt empfunden. Schon die kleinste Sünde kann höllenwürdig sein, so das Dogma der Amtskirchen. Auffällig ist nur, dass der von ihnen propagierte Gott der größte Sünder überhaupt ist: Er ist nach Kirchenaussage der Täter der Sintflut und hat dieses Verbrechen niemandem gebeichtet. Auch als Gott oder Jesus eine Folterhölle für Andersgläubige einzurichten, ist ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte (Recht auf Religionsfreiheit, Recht auf körperliche Unversehrtheit). Sollen am Jüngsten Tag bei Auschwitz aus den Gräbern auferstanden Juden gleich in das nächste, dann ewige KZ überwechseln? Christentum und speziell christliche Mission ist solange Kindesmissbrauch, als in ihr diese völlig unchristlichen Gottesbilder (Bibel-Gott und Bibel-Jesus) in finanziellem Eigennutz vermittelt werden.
Vererbung bei BPS? Sie ist reine Spekulation. Bei Erkrankten sind Veränderungen morphologischer und elektrischer Art im sog. Limbischen System als „Vererbung“ beschrieben. Von einer Morphologie alleine kann jedoch ebenso wenig auf Vererbung geschlossen werden wie von der Konkordanz her. Eine fehlende Vorhaut bei jüdischen eineiigen einjährigen Zwillingskindern (Konkordanz 100 %) ist nicht vererbt. Solange sich Konkordanz aus zwei nicht gewichteten Faktoren zusammensetzt, der Genetik und der individuellen Entwicklungsgeschichte, solange kann man von ihr nicht auf Vererbung schließen. Neuroleptika verändern die Morphologie des Gehirns ebenso wie gewisse Denkmuster: Londoner Taxifahrer, die extrem auf Orientierung angewiesen sind, weisen einen größeren Hippocampus auf als dortige Busfahrer. „Denn Zellen entwickeln sich ständig neu“, so in ZEITWISSEN Nr. 2/2015
Nicht immer ist eine Borderlinestörung ekklesiogen mitbedingt. Diese Arbeit soll Therapeuten und Erkrankten Mut machen, das Christentum anders als einen positiven Resilienzfaktor bezüglich der Therapie der Störung zu sehen. „Hilfreich“ ist eine Religion für einen Menschen nur in der völligen Unterwerfung unter ihre Dogmen, ein Phänomen, das wir heute leider bei unserer Psychiatrie wahrnehmen. Angst vor ewiger Folter, also das größte seelische Trauma, das wir kennen, sei kein Trauma, so Prof. Diefenbacher, Berlin. Nur das wirkliche Erleben der Hölle könne eine posttraumatische Belastungsstörung bewirken. Diese Irrigkeit habe ich die Berliner-Psychiater-These genannt. Würde jemand anderes als seine Kirche (als sein „Gott“) dem Kind eines Psychiaters mit Feueranwendung drohen, würde er mit Wahrscheinlichkeit selbst aktiv werden oder gar die Polizei einschalten – aus Angst vor schrecklichen Folgen für sein Kind. Prof. Püschel, Leiter der Gerichtsmedizin des UKE Hamburg, wurde von mir angeschrieben. Die Antwort: Eine Erziehungsberechtigte, die mit Hitzeanwendung droht, ist „nicht akzeptabel“. Unsere beiden Amtskirchen, denen wir die Erziehung von Kindern anvertrauen, sind nicht akzeptabel.
Eine ernst gemeinte Androhung schwerer Folter, also religiöser Extremismus, wirkt sich immer negativ aus. Sie ist den Amtskirchen in Deutschland übrigens grundgesetzlich und strafgesetzlich verboten. Sie praktizieren das Christentum als politische Philosophie. So wird Glaube, so wird Religion zu einem totalitären, terroristischen System. Das beginnen wir zurzeit, allerdings erst bei anderen Religionen, zu begreifen, die mehr durch Außen- als durch Innenaggressivität schädigen. Die eigene Religion wird als harmlos und „richtig“ angesehen. Der tiefen-analytische Grund: Man will innerpsychische Konflikte mit ihr vermeiden.