Die Zwangsneurose
. Die Zwangsneurose
Ein Zwangsneurotiker führt wie im Zwang Handlungen durch, z.B. ständiges Händewaschen, weil es ihn von starken Ängsten in dem Moment befreit. Viktor E. Frankl beschreibt in seinem Buch „Der unbewusste Gott“ dtv im Kapitel „Unbewusste Religiosität“ einen Zwangskranken, eine Zwangsneurose. Viele, auch analytische Therapien waren gescheitert. Der Patient konnte z.B. keinen Diensteid schwören, sonst glaubt er, Mutter und Schwester würden im Jenseits verdammt, falls er einmal gegen diesen Eid verstoße. Eine Ehe konnte er nicht eingehen, da er befürchtete, beim Brechen der Eheversprechung seinerseits würden Mutter und Schwester verdammt (= zur ewigen Hölle verurteilt). Er schildert auch Angst, Gott könne sich an ihm rächen. An diesen Stellen hört Frankl weg. Er ist hier taub. Frankl meint, der Patient habe zu wenig Religion, dabei hat er zu viel davon. Er hat ein Sacco-Syndrom wie wohl auch sein Therapeut Frankl.
Bei diesem Kranken lag also ein Sacco – Syndrom vor. Der Begriff Zwangskrankheit ist in diesem Falle irreführend oberflächlich, der Zwang ist lediglich nebensächliches begleitendes Symptom. Würde man nur den Zwang behandeln, die Krankheit würde sich verschlimmern. Es könnten Phobien und noch stärkere Depressionen auftreten. Mit seinen Zwängen hält der Kranke sich über Wasser, wie Kierkegaard es mit seinem zwanghaften Masochismus tun musste.
Charakteristisch ist, dass der obige Zwangskranke bei kleinsten Verfehlungen die schlimmste Gott – Strafe befürchtet: Ewige Verdammnis für sich und für seine engsten Angehörigen. Die Strenge des religiösen Glaubens entspricht der Strenge des Anteiles des Über-Ichs, das ich Gott-Ich nenne. Eine zwangsneurotische Struktur entsteht, wenn das Kind mit Geboten überhäuft wird und Liebe, auch die Liebe Gottes, von der Einhaltung bestimmter Regeln abhängig gemacht wird. Auf die Nichteinhaltung seiner Gebote hält Bibelgott entsetzliche, unchristliche Strafen gleich bereit, schon bei geringsten und geradezu lächerlichen Vergehen. Einen Ungehorsam gegen die Eltern bestraft das Gott-Ich mit Steinigung, sexuelle „Verfehlungen“ mit Lebendigverbrennung, Minimalvergehen mit Folter. Ein echter Ungott, dieser ausgedachte Gott! Isaak B. Singer will ihn beim Jüngsten Gericht anschreien: „DU bist nicht gerecht“ (Quelle Bild 27.2.2012). Es ist schrecklich, an einen derartigen „Gott“ glauben zu müssen. Für Kinder ist dieser Gott gar nichts. Sie, lieber Leser, müssen Ihre Kinder vor einem solchen Gott (-esbild) beschützten.
Es liegt in obiger Fallvorstellung nicht, wie Frankl es ausdrückt, ein „Defizit an Transzendenz“ vor mit ursächlicher „selbstherrlicher Vernunft“, sondern einfach ein im geraden Gegenteil ein Zuviel an Glaube, ein Wörtlichnehmen der Bibel, die z.B. Jesus als Despoten mit den Worten schildert, er werde kommen und foltern, Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Mit Feuer natürlich, in einem Feuerofen, wie es „geschrieben steht“. Hier haben wir einen Patienten, der im Religionsunterricht zu gut aufgepasst hat. Er hat zuviel Religion, ein Zuviel an kranker, fundamentalistischer Unreligion!
Die kausale Therapie ist also nicht die Behandlung einer „selbstherrlichen Vernunft“, sondern eine EA-Therapie, also das direkte Gegenteil. Wichtig und nötig ist für obigen Patienten eine konsequente Anamnese (Erhebung der Vorgeschichte), evtl. unterstützt mit einer Erinnerungs – Hypnose, da seine Gedanken an einen ewig strafenden Gott eine „Schuld“ im Lebenslauf voraussetzt, eine „Sünde“, die vielleicht als Kind begangen wurde, minimal aber unaufgearbeitet ist und im Unterbewussten auf Turmhöhe anwuchs.
Wie immer in der Psychiatrie, sagt uns der Patient das meiste von alleine. Wir müssen nur aktiv zuhören wollen und können. Frankl gelingt dies auf Grund einer eigenen Blockade nicht. Und wo kein aktives Zuhören ist, da ist kein Begreifen. Schopenhauer dazu: „Was dem Herzen widerstrebt, lässt der Kopf nicht ein.“ Ein Patient, der befürchtet, in die Hölle zu kommen, verdammt zu werden, ist schwer depressiv. Er ist nicht unbedingt suizidgefährdet, da ein Suizid „von Gott“ angeblich verboten ist und in der Vorstellung des Klienten eine noch schlimmere Höllenstrafe bewirken würde.
Warum kann Frankl die Botschaft des Patienten nicht verstehen, dieser drückt sich doch sehr eindeutig aus. Frankl verdrängt die Negativelemente in der Bibel und gestattet sich nicht, Bibelgott einer Kritik zu unterziehen. Er übersieht dessen Quälereien. Im oben erwähnten Buch ist von solchen nie die Rede. Frankl sieht an dieser Stelle weg. Er darf nicht zuhören. Er wird symptomatisch für die nachfolgende Psychiatrie bis 2013. Die Kausaltherapie des Zwangskranken ist durch Elementarangst beim Therapeuten blockiert, die Angst, „Gott“ zu kritisieren. Es besteht Angst vor der Hölle und damit eine Sacco–Symptomatik beim Therapeuten, eingebunden in ein Helfersyndrom mit dem Zwang, helfen zu müssen. Denn Helfen bietet nach der Bergpredigt Schutz vor der persönlichen Hölle. Berufswahl und -ausführung bei Psychiatern sind vielfach eine derartige Zwangshandlung. Aus Gottangst wählt Frankl eine Spezialbehandlung für seine Kranken, die „Sinn“ – Behandlung. Den „Sinn des Lebens“ will Frankl seinen Klienten klarmachen. Vereinfacht, so wird es im Text klar, die 10 Gebote. So wird Höllenangst natürlich bei Arzt und Patient zunächst gemildert. Es ist aber zweckmäßiger, die Hölle selbst ad absurdum zu führen. Denn: Wer kann schon die 10 Gebote einhalten? Niemand. Nicht einmal „unser“ Gott. Er schickt den unfolgsamen Juden „Tiere“, die deren „Kinder fressen“ sollen.
Frankl schreibt also ein Buch über den „Unbewussten Gott“, der ihm jedoch selbst unbewusster ist und bleibt als seinem Kranken. Insofern ist der Titel treffend. Ich achte Frankls Leid in seiner Lebensgeschichte. Ich achte seinen Willen und sein Lebenswerk, humanitären Sinn einem Patientenleben geben oder einen schon vorhandenen Sinn einem Patienten darlegen zu wollen. Kirchenbedingte bzw. synagogenbedingte Schädigungen sieht Frankl aber nicht. Auf diesem Gebiet bringt er lediglich Defektheilungen zustande.
Ein Patient hob jeden Stein vom Fussweg auf. Er hatte als Zwangskranker auf Befragen Angst, es könne jemand darüber fallen. Unbewusst hatte er Angst vor unterlassener Hilfeleistung, Angst also vor einer Versündigung. Eine Zwangshandlung ist somit ein Weg der Höllenvermeidung, ein „bester Freund“, wie Rita Gigante, eine Zwangsneurotikerin, es beschreibt (in der Die Welt, 5.12.13). Im Waschzwang wäscht der Erkrankte eine alte Sünde ab. Ein Patient duschte stundenlang. Ihm war als Kind ein Bettnässen als Schuld bzw. Sünde dargelegt worden. Schuld und Sünde kann ein Kind noch nicht trennen. Es kann die einzelnen Über-Ich-Anteile (Gott, Vater, Mutter, Großeltern, Kindergärtnerin, Lehrer) nicht sauber trennen.
Auch die (früher „endogene“) Depression ist mit ihren „Episoden“ eine Zwangserkrankung. Diese Depression ist im Urgrund nicht endogen, sondern masochistisch. Der Erkrankte gönnt sich nicht seine Fröhlichkeit und quält sich stattdessen mit regelmäßigen Depressionen. Hat er sich in seinen Augen genug gequält, kommt eine Phase des „Gesundseins“. Dann wieder der depressive Schub. Er kann sich als Christ nur mit einem schlechten Gewissen bzw. leidend wie Christus „wohl“ fühlen. Der Zwang in die Depression hinein erleichtert ihn zunächst von seinen Massivängsten, seiner Gottangst. Seine Depression, so schlimm sie auch ist, ist für ihn weniger belastend als seine Angst. Er therapiert seine Angst mit Depressionen. Das Parade-Beispiel für Masochismus ist Ödipus. Seine masochistisch entstandene Blindheit macht ihm sein Weiterleben erst erträglich.
Somit ist alleinige Verhaltenstherapie bei Zwängen ungünstig, da Höllenangst u.U. gesteigert wird. Das erklärt das häufige Versagen dieser Therapie beim Zwang. Läßt o.g. Patient einen großen Stein nach einer Verhaltenstherapie tatsächlich auf dem Fußweg liegen, und jemand verunglückt tatsächlich schwer, resultieren starke Sündengefühle und ggf. ein Suizid oder eine Psychose. Besser ist, ihm zunächst seine Höllenangst zu erklären und die Hölle als KZ Gottes (Diktion Hürlimann) in einer EAT ad absurdum zu führen.
Die Zwangshandlung ist während der Krankheit der beste Freund des Erkrankten.