Besprechung von „Struktur des Bösen“

Vorwort Müller: Frank Sacco, Autor von „Das Sacco-Syndrom“, liefert uns eine Besprechung der „Struktur des Bösen“, 3 Bücher, Auflage 1985 von Eugen Drewermann. Im Vordergrund steht bei Sacco wieder die Angst vor Gott. Andere Sichtweisen sind möglich, wie die fromme Rezension bei buchkritik.at zeigt. Hier aber Frank Sacco, der Psychotherapeut, über Eugen Drewermann, den Psychoanalytiker:

Struktur des Bösen

Theologe, Nonne, Geistlicher, oder auch dessen weltliches Pendent Psychiater, alles das wird man analytisch gesehen zumeist nicht etwa aus Liebe zu „unseren“ beiden Göttern, sondern aus (verdrängter) Angst vor ihnen, aus Gottangst. Man verheiratet sich also mit Jesus, um nicht grenzenlosen Ärger mit ihm zu bekommen. Die angesprochene Gottangst ist die größte Angst des Menschen, denn hinter ihr steht eine Furcht: die vor dem ewigen Feuer in einer Verdammnis.

 

Alt-Präses Bischof Nikolaus Schneider spricht warnend von diesem „ewigem  Feuer“ Jesu, in das gewisse Sünder hineinkommen würden (in „Von Erdenherzen und Himmelsschätzen“, S. 54). Wie kann man aber den Gott der Bibel oder den Jesus der Bibel überhaupt  lieben?  Der Erste zeichnet für den Holocaust Sintflut verantwortlich, der Zweite für die Planung des Holocaust Apokalypse. Freiwillig verheiratet man sich also nicht mit derartigen Despoten.

 

Heute, 30 Jahre nach 1985, würde Drewermann wohl anders schreiben. Wir alle, die wir über 30 sind, haben uns entwickelt. Heute empfinde ich die neueren Schriften Drewermanns, so z.B. das Buch „Kleriker“, oft ausgezeichnet und sie sind für mich ein unverzichtbarer Baustein hin zu einer würdigen, friedvollen und damit gesunden Religion – einer Religion ohne das Dogma Hölle. Das Gotteslob des Drewermann von 1985 hört sich heute skurril an: „Das ganze Geheimnis des menschlichen Lebens besteht darin, dass der Mensch de facto niemals nur „natürlich“ leben und glücklich sein kann, ohne auf Gott hin zu leben…“  „Ohne Gott ist es notwendig, depressiv zu werden.“ „Gott ist ein… allervollkommenstes Wesen, dem nie ein Fehler unterläuft;“  „Die Sünde ist die Geisteskrankheit schlechthin.“ „Erst im Glauben findet die Zerrissenheit von Verstand und Gefühl, Bewusstsein und Unbewusstem ihr Ende.“ Der Glaubenssatz von der Ursünde besage, „dass der Mensch nicht gut sein kann, weil und solange er von Gott getrennt ist“. Nun, heute wissen wir per Experiment: Der Atheist verhält sich „christlicher“  als ein Christ, der selbst nach Auschwitz die Verantwortung noch allzu gern auf seinen Gott abschiebt: „Dem, der da leidet,  wird schon nichts mangeln.“ Dabei ist doch Auschwitz der untrügliche Beweis für die absolute Ohnmacht des Christengottes.

 

Das Geheimnis sei, so Drewermann,  ein sich „Fallenlassen“ in Gott. Verdrängt wird von Gläubigen, dass man sich dabei  in Verbecherhände fallen lässt, zeichnet doch der Gottvater für den Holocaust Sintflut  und sein Sohn für die Planung des Holocaust Apokalypse Verantwortung. Die wird nach Lukas 17 eine Wiederholung von Sintflut, Sodom und Gomorrha  darstellen. Auch erschuf der Vater die Hölle, in der sein Sohn mittels Feuer foltern will – „von Ewigkeit zu Ewigkeit“ versteht sich (Joh.-Offenbarung).

 

All dies muss verdrängt werden, um die Beiden überhaupt lieben zu können.  Drewermann: „Kein Gott könnte strenger und, sagen wir ruhig, liebloser den Menschen richten  und verurteilen, als es der autonom gewordene Mensch (D. meint den  Atheisten, der Verf.) in Gestalt des Sittengesetzes tut.“  Notwendig ist an  dieser Stelle der Hitlervergleich, den unter anderen  auch der jüdische Nobelpreisträger Isaak Singer anstellt. Unter Hitler wurde zunächst vergast. Dann erst wurden die Leichen verbrannt. Auch folterte man unter Hitler nicht einmal zwei Jahrzehnte. Die Hölle der Bibel hört hingegen  niemals auf. „Wie wird es in der Hölle sein“, heißt ein erklärendes Kinderbüchlein des Betanien Verlages (Druck 2014, Partner: eine katholische Kirche). Text: „Wenn man hier noch nicht einmal einen Finger in eine Flamme halten kann, wie wird es dann sein, wenn kein Millimeter des Körpers für keine Sekunde der Ewigkeit vor dem sengenden Schmerz des Feuers verschont sein wird?“ Und:  „Welche Gnade ist für Sünder jedes nicht brennende Körperteil!“ Der Hitlervergleich hinkt also – aber zuungunsten „unserer“ Götter.

 

Natürlich, so denkt ein sich versklavender, seinem Gott in Gänze sich ergebender Gläubiger, erspart dieser Gott einem eben durch diese völlige Hingabe seine finale Folterkammer. Es resultiert durch „Gewissheit“ von Gnade ein unbeschreibliches Glücksgefühl, vergleichbar mit dem Glück, in letzter Minute doch nicht auf einem Scheiterhaufen verbrennen zu müssen. Es ist nur natürlich, dieses Glück zu empfinden und das Empfinden  missionarisch dann auch weitergeben zu wollen. Wer sich aber einem von Grund auf bösen Götterbild hingibt, verhält sich in Identifikation mit dem Bösen oft erst recht böse: Er tötet wie von „Gott“ befohlen Homosexuelle, ermordet in einem Kreuzzug unschuldige Kinder (Kreuzritter Breivic), sprengt Ungläubige in die Luft oder merzt sie anderswie aus. Angst, so Drewermann, sei der Urgrund für das Böse beim Menschen, und wir stimmen dem zu. Um zu folgern, dass die größte Menschenangst ihn am bösesten macht, braucht es nicht einmal einen Dreisatz.

 

Einigen steht nun aber der Weg der Verdrängung des Bösen unserer Götter nicht offen. Sie sehen irgendwann, wie zunächst jedes Kind, die Realität dieser Welt und können die Taten von Wesen, also auch von Göttern, daher nur objektiv beurteilen. Zwangsläufig kommt dabei Gottkritik auf. Hier kommt es also unabwendbar zum Bruch eines  religiösen Tabus. Und das rächt sich. Doch ein Tabu rächt sich eben nicht selbst, wie S. Freud meinte. Man rächt, analog des Augenausbrennens eines Ödipus, den Tabubruch masochistisch an sich selbst. 

 

Heute brennt man sich natürlich nicht mehr die Augen aus. Heute wählt man z. B. eine „endogene Depression“ oder geht in einen masochistischen Suizid á la Iokaste, der Mutter und Ehefrau des Ödipus. Überlebt bzw. überwindet man den Tabubruch aber, so resultiert eine Freiheit, die ein Denken und Reden über Religion in einer völlig neuen Kategorie ermöglichen. Es gibt allerdings auch Menschen, die ihr Atheistsein irgendwie geschenkt bekommen.

 

Religion als primärer Gedanke an einen erhofften Schutz durch ein höheres Wesen in einer an sich unbarmherzigen Welt des Fressens und Gefressenwerdens, wird gerade aus diesem Grund überleben. So habe ich, auch da man im ärztlichen Gespräch nicht immer ohne transzendentalen Trost auskommt, mit der „Religion nach Auschwitz“ eine gewaltfreie Religion formuliert. Sie kann  als „Neue Religion“ gelebt werden  (unter „Sacco-Syndrom“, Internet). Diese Religion  gibt es allerdings de facto schon sehr lange: Solange es Menschen gibt.